Heilverfahren aus aquaristischer "Steinzeit"

Futter mit Inhalt
Als erfolgreiche Therapien und Therapeutika, zum Beispiel mit hochwirksamen Antibiotika, noch nicht „erfunden“ waren, gab es oft bittere Momente im Leben der Züchter. Wenn nämlich Kochsalz, Methylenblau oder Trypaflavin nichts genützt hatten, war man oft am Ende aller Möglichkeiten. Dann wurden nicht selten tote Fische in Massen „abgeschöpft“ oder erkrankte vernichtet. Aber selbst die dringend notwendige Desinfektion war alles andere als einfach. Gebräuchliche Praktiken waren gleich nach dem Krieg oft nur das „Ausfrieren“ der Becken im Winter oder die Anwendung von Salzsäure, aber auch diese war knapp. So war der Ideenreichtum stets gefragt. Und hatte einer damit Erfolg ‑ wurden Rezepte wie Geheimnisse gehütet.

 

Doch mit der Zeit kamen auch andere auf immer mehr Stoffe oder Stoffkombinationen aus der Veterinärmedizin. Unter hohen Verlusten ‑ weil die verträgliche Dosierung nicht bekannt ‑ versuchten so Profis und Amateure gleichermaßen Neuland zu erschließen. Nun war das alles ja nur ein recht kleines Problem ‑ konnte man die zu Tode behandelten Fische gleich um die Ecke neu kaufen.

Was aber sollte man tun, wenn es sich um heikle und darum seltene Arten handelte? Da war guter Rat nicht nur teuer, denn Nachschlagwerke über Fischkrankheiten gab es noch nicht.
Etwa in dieser Zeit lag auch mein Anfang, Aquaristik und Cichlidenpflege ernsthaft zu betreiben. Und das bedeutet noch heute, sich auch für Symptomatik und Ursachenermittlung zu interessieren. So begann ich zunehmend folgendes Krankheitsbild vorwiegend bei Zahnkarpfen und Zwergbuntbarschen zu beobachten:- verbleichende Färbung des Körpers und der Flossen - verminderte Bewegungsintensität - fädig anhängende Kotausscheidungen von weißlicher Färbung, aber - noch normale Futteraufnahme!Bis hier ist eine Behandlung noch gut möglich. Später nimmt die Trägheit weiter zu und das ganze Tier, vor allem aber dessen Bauchraum, verfällt zusehends. Bei dieser unspezifischen Darmerkrankung wird im Spätstadium auch kaum noch Futter aufgenommen und verwertet. Meist wird dieses nach Kaubewegungen wieder ausgespuckt.Nach oft monatelangem Siechtum tritt unvermittelt der Tod ein. Nahezu auslösend kommt es zu diesem Verlauf, wenn Tubifex an die genannten Fische verfüttert wird.
Jedoch trifft es auch Jungfische, denen zu früh zu großes Lebendfutter verabreicht wurde. Doch es können unter vielen kranken Tieren auch einzelne, anscheinend gesunde Exemplare, überdauern!Viele Versuche mit diversen Heilbädern brachten dabei immer Misserfolge, was bei den Mitteln kein Wunder war. Neu auf den Markt kam damals (1964) Malachitgrünoxalat ‑ doch auch hier Fehlanzeige bei Heilbädern.

Da kam mir der Gedanke, dass dieses Antiseptikum aus der Veterinärmedizin nur deshalb nicht wirkt, weil es überhaupt nicht an den Ort der Erkrankung gelangt. Wie es also an Ort und Stelle bringen? Bei der geringen Größe der Patienten war es mit einer Kanüle z. B. nicht möglich, über die Ernährung ging es wohl eher. Und dafür schienen mir Daphnien (Cladocera) besonders geeignet. Denn ich hatte einmal beim Mikroskopieren gesehen wie diese Blattfüßer sich ernähren: als Bewohner stehender Gewässer filtrieren sie das umgebende Wasser in einem Hohlraum im Brustbereich ihres Körpers und nehmen daraus ihre Nährstoffe. Dabei färbt sich das Tier nach der Farbe der Nahrung ‑ rot bei animalischer Kost - rote Daphnien, oder grün bei vegetarischer Kost - grüne Daphnien.So verdankte ich dann der natürlichen Filtration folgende Methode: Von Malachitgrün stellte ich eine Stammlösung her und löste 75 mg der Kristalle in einem Liter Wasser. Daraus gab ich tropfenweise soviel in ein Konservenglas mit einer Portion Daphnien, bis diese nach kürzester Zeit starben. Damit hatte ich recht einfach und schnell den „kritischen Punkt“ der Lösung ermittelt. Mit etwas weniger im nächsten Versuch blieben die Nährtiere aber am Leben ‑ etwa 30 Minuten lang. Nach dieser Zeit hatten sie die Färbung der Lösung angenommen wie sonst ihre Nahrung die Färbung bestimmt. Es waren also jetzt blaugrüne Daphnien! Die Therapie konnte also beginnen:
Zweimal am Tag bekamen die erkrankten Fische diese präparierte Nahrung direkt in den Verdauungstrakt Als Erfolg kam es nach etwa einer Woche wieder zu normaler Kotabgabe, und der körperliche Verfall kam bald zum Stillstand. Auf diese Weise überlebten 230 Jungfische nicht nur die Therapie. Sie erholten sich von allen Symptomen, ohne sich später als steril zu erweisen!

Unabdingbare Voraussetzung war (und ist) aber, dass zu Beginn einer Therapie die Darrnpassage noch möglich ist. Setzt eine derartige Behandlung nämlich zu spät ein, ist der Verdauungstrakt oft schon deformiert und verklebt, so dass der Wirkstoff nicht ankommen kann.Das Fazit aus aktueller Sicht: Mit dieser einfach zu realisierenden Methode sind beim heutigen Stand pharmazeutischer Erzeugnisse wahrscheinlich alle wasserlöslichen Substanzen dieses Anwendungsbereiches einsetzbar. Dazu kommt der Vorteil, dass die Wirkstoffe auf kürzestem Weg und in kürzester Zeit in den Organismus gelangen. Die massive Einwirkung von außen (bei Heilbädern) kann so entfallen, weil sie ja auch dort angreift, wo nichts krank ist.

 

 

Lothar Zenner