Ist das Züchten von Aquarienfischen zeitgemäße Aquaristik?
In den Jahren vor dem Rummel um die so genannten „Positivlisten" habe ich manchmal das Gefühl gehabt, dass es nur noch Außenseitern oder in Ehren ergrauten Aquarianern, die sich der "modernen" Aquaristik nun einmal nicht zuwenden wollten, übrig gelassen wurde, sich mit der Zucht von Aquarienfischen zu beschäftigen. Es war einfach viel billiger, Massenzüchtungen aus Fernost zu bestellen oder aber es mussten unbedingt die neuesten Wildfänge sein. Die Beschäftigung mit der Zucht wurde also diesen unmodernen Kauzen und den Aquarianern in den damaligen Ostblockstaaten überlassen. Die mussten ja, sie bekamen ja nicht jeden Tag eine Neuentdeckung präsentiert. Ich meine, dass diese Haltung der Aquaristik sehr geschadet hat. Aquarianer wurden und werden daher leider immer noch zu denen gerechnet, denen eine ungezügelte Entnahme von Fischen aus der Natur gleichgültig ist.
Ich habe schon damals bei meinen Vorträgen in Vereinen "gewettert": "Leute, die Zucht ist mit eines der schönsten und wichtigsten Erlebnisse eines Aquarianers. Was gibt es Schöneres, als wenn einem nach jahrelangen Bemühungen endlich die Nachzucht eines aquaristischen Problemfisches gelungen ist?" Natürlich spielt bei einem solchen Erfolgserlebnis die Befriedigung der persönlichen Eitelkeit auch eine Rolle. Warum auch nicht?
Immer wieder habe ich feststellen müssen, dass mir das "Knacken einer harten Nuss" nur gelang, wenn ich mich intensiv mit dem Fisch und seiner gesamten Umwelt beschäftigt, mich quasi in den Fisch hineinversetzt habe. Daher waren und sind für mich Reisebeschreibungen über die Fundorte und deren Umgebung immer sehr wichtig. Sie dürfen auch heute in aquaristischen Fachzeitschriften nicht fehlen. So ist mir die Zucht, um nur ein Beispiel zu nennen, des Patagonischen Messingsalmlers, Gymnocharacinus bergii, nur aufgrund intensiven Schilderungen von Dr. K. H. Lüling über den Quellbiotop gelungen. Dieser Salmler kam dort nur noch in einer Population von etwa 250 Exemplaren vor. Ich habe mehr von ihm im Aquarium gezüchtet, als in der freien Wildbahn vorkamen.
Inzwischen ist dieses Wissen um die Zucht im Aquarium zum Ausgangspunkt der Arterhaltung in freier Natur geworden. Argentinische Wissenschaftler haben es bei mir für eine Wiederauswilderung abgerufen, da der einzige Lebensraum dieser Salmler vor seiner Zerstörung stand. Heute, da die Umwelt tagtäglich mehr und mehr in Bedrängnis gerät, ist es für uns Aquarianer wichtiger denn je, die Fische, die wir in unseren Aquarien pflegen, durch Nachzucht zumindest für das schöne Hobby Aquaristik zu erhalten. Von Arterhaltung generell, wie es seinerzeit Noah in seiner Arche tat, will ich hier gar nicht reden. Das wäre vermessen. Eine solche Argumentation würde auch - und das mit Recht - von Gegnern der Heimtierhaltung nur belächelt.
Der Sinn zeitgemäßer Aquaristik liegt vielmehr in der Förderung des Verständnisses für die Natur, des Verständnisses für das Leben schlechthin. Und womit erreicht man das besser als durch die Beschäftigung mit der Zucht?
Werner Schmettkamp