Vorurteile über Guppyzucht

"Einige Vorurteile über den Guppy"

1. Der Guppy ist robust

Überall in der Literatur kann man diese Behauptung lesen. Aber in dieser Absolutheit stimmt sie nicht. Die im Handel angebotenen Tiere werden aus Kostengründen meist aus Südostasien eingeführt. Dort werden sie in großen Bottichen im Freiland vermehrt. Und zwar in einer Antibiotika-Brühe. Kommen die Tiere hier in den Großhandel und in die Zoohandlungen, werden sie mit Salz oder Medikamenten behandelt. In den Becken eines normalen Käufers sind sie dann wenig resistent gegen jede Art von Erregern. Sie sind alles andere als robust, reagieren heftig auf jede Veränderung des Umweltmilieus und bereiten den Käufern ganz bestimmt keine Freude.

  

2. Der Guppy ist leicht zu halten!

Diese Behauptung trifft nur zu, wenn man den Tieren optimale Bedingungen anbietet. Aber diese optimalen Bedingungen sind von Stamm zu Stamm unterschiedlich. Kommen Tiere meines Stammes in weiches saures Wasser, sterben sie nach einiger Zeit. Umgekehrt vertragen die Tiere es besser, aber ihre Vitalität und Fruchtbarkeit lassen nach. Eine sorgfältige Adaption über mehrere Wochen ist nötig bei stark differierenden Wasserparametern. Zwar ist der Guppy im Futter nicht wählerisch - aber wie Prof. Bremer empfiehlt, ihn nur mit Trockenfutter zu ernähren, ist ganz falsch. Algennahrung, Lebendfutter und wenig Trockenfutter gewährleisten diesem Tier, das zur Leberverfettung neigt, eine gute Ernährung.
Will man seine ganze Farbenpracht und sein lebhaftes Verhalten beobachten, braucht man ein gut bepflanztes 160 l Becken, in welchem eine gute Strömung herrscht. Als Schwarmfisch zeigt er hier sein ganzes natürliches Verhalten. Auch gelegentlich aggressives Verhalten, vor allem der Weibchen untereinander, wird in einem größeren Becken wesentlich besser vermieden als in kleinen Becken. Der Guppy liebt höhere Temperaturen (24 - 26 °C). Zwar ist er auch bei niedrigeren Temperaturen haltbar, aber er verliert an Vitalität, Leuchtkraft und Größenwachstum.

3. Der Guppy ist billig (ein Futterfisch)

Dieses schlecht Image hat der Guppy nur hier in Deutschland. Billig ist er hier, weil er aus Massenzuchten in Asien und neuerdings aus Tschechien in die Läden kommt. Der Großhandel bietet ihn ab 5 amerikanischen Cent (= ca. 9 Pfennigen) an. Kaufen Sie jedoch bei organisierten Hobbyzüchtern Tiere aus prämierten Zuchten, so sind Preise von 50,00 DM für tragende Weibchen durchaus gängig. Auf der Weltausstellung in Nürnberg 1997 wurde ein Trio Weibchen für 350,00 DM gekauft.
Amerikanische Züchter verlangen für ein Trio 50 - 75 US $. In Japan werden hochprämierte Tiere für über 1.000 US $ gehandelt. Wirklich gute Tiere sind alles andere als billig.

4. Der Guppy ist leicht zu züchten

Wäre die Sache nicht so ernst, würde ich lakonisch sagen: Ha, Ha! Dieses Vorurteil rührt aus der angeblichen Vermehrungsfreudigkeit (Millionenfisch) des Guppys her. So schwirrte im Verein Kölner Aquarien- und Terrarienfreunde gegr. 1946 e.V. die Vorstellung umher, pro Wurf würden 200 Junge und mehr produziert. Hochzuchtguppys werfen ca. 25 Junge pro Wurf. Dieser Durchschnitt ergibt sich aus Untersuchungen von Luckmann und Kempkes. Verschieden Standards und Grundfarben weichen jedoch hiervon erheblich nach unten ab (Speer- und Nadelschwanz, Albinos etc.).
Züchten heißt, festgelegte Standards als auch den Tierschutzgedanken zu beachten. Das gilt sowohl bei Tieren, die der Lebensmittelgewinnung dienen als auch für Hobbyzüchter wie wir es sind. Alles andere ist vermehren. Beides, züchten wie vermehren, kann gleichwertig sein, wenn vermehren der Arterhaltung dient. Unsere Wildformenfreunde werden dies ganz sicher bestätigen. Wenn jedoch vermehren aus kommerziellen Gründen geschieht (Hundezucht, Massentierhaltung, Fischzucht) kann man hierfür nur Verachtung erübrigen. Hier werden Ethik und Kreatur wegen des Mammons mit Füßen getreten. Leider liefern diese schwarzen Schafe den radikalen Tierschützern mehr als genug Munition, mit der sie dann auch uns beschießen können.

 

5. Die Guppyzucht ist wenig zeitintensiv!

Dieses Vorurteil stammt vom ehemaligen Guppypapst, Paul Hähnel. Er ist der eigentliche Begründer der heutigen Guppyhochzucht. Seine Tiere, kurz nach dem Krieg aus Amerika nach Deutschland auf Schauen geschickt (die Transportkosten waren horrend), waren eine Sensation. Er behauptete, sein System würde es ermöglichen, 80 Becken mit 45 und 69 Litern in täglich 15 Minuten an 6 Tagen der Woche und 4 Stunden am 7. Tag zu versorgen. Ich selbst benötige für 15 Becken mit ca. 1.000 Litern ca. 2 Stunden täglich. Am Wochenende erhöht sich diese Zeit auf viele Stunden.

 

6. Guppys werfen nach 4 Wochen erste Junge!

Untersuchungen von Luckmann, Kempkes oder Rosenthal an mehreren hundert Weibchen, die jungfräulich zu Männchen gesetzt wurden, haben ergeben, dass der erste Wurf nach durchschnittlich 37 Tagen kam. Aber hier sind extreme Abweichungen nach oben oder unten durchaus nicht selten. Bei mir warf ein Weibchen bereits nach 19 Tagen nach dem Zusetzen des Männchens. Ein weiteres Weibchen brauchte bis zum Werfen über 100 Tage. Der Abstand zwischen den Würfen beträgt nach dem Erstwurf ca. 30 Tage, aber auch hier sind erhebliche Differenzen möglich.

 

7. Hochzucht von Guppys ist nicht tiergerecht!

Diesen Vorwurf kann man faktisch widerlegen. Zwar stellen großflossige Guppys Luxus-Züchtungen dar, die in der Natur schwerlich überleben würden, aber sie werden ja für unsere Aquarien gezüchtet. Setzt man sie kontrolliert aus, verlieren sie innerhalb weniger Generationen Farben- und Flossenpracht. Nachzuchten von ausgesetzten Guppys aus dem Guppy-Bach bei Köln zeigen diese Veränderungen deutlich.

Im Gegensatz zu Schweinen, Kühen und anderem Nutzvieh aber ist der Guppy genetisch keineswegs verändert. Seine Vielfalt von Formen und Farben ist im einfachsten Wildguppy genetisch verankert. Viele gefangene Wildguppys zeigen Ansätze von DS, US oder OSS. Außerdem legt der IHS (Internationaler Hochzucht Standard) Strafen für Überlänge der Flossen fest und bestraft so Züchter, die nicht tierschutzgerecht arbeiten. Zahlreiche Züchter haben der Wissenschaft bei ihrer Bemühung, den Guppy zu erforschen, viele wertvolle Hinweise und Erkenntnisse ermöglicht. Als Beispiel sei hier angeführt, dass die Tatsache, dass Weibchen bei der Partnerwahl leuchtende Farben (rot) und große Flossen bevorzugen, aus den Kreisen der Hobbyzüchter stammt.

 

8. Für die gezielte Zucht reichen wenige kleine Becken!

Dies ist ein leider gerne und häufig gemachter Anfängerfehler. Zwar wird er mit der Einführung von Mindestkantenlängen für Aquarien durch den Gesetzgeber weitgehend eliminiert, aber schon aus Einsicht sollten gute Züchter kleine Becken (12 Liter) nur kurzfristig als Befruchtungs- oder Quarantänebecken einsetzen. Man benötigt pro Linie mindestens ein Ansatzbecken und zwei Aufzuchtbecken für die Jungtiere. Zwei Hälterbecken für die Zuchttiere sind sinnvoll. Ein Stamm, der in zwei Linien betrieben wird, braucht wenigstens 10 Becken.

 

9. Guppybecken müssen ohne Einrichtung sein!

Dies ist in der Guppyszene ein kontrovers diskutiertes Thema. Viele Züchter wollen, wegen der besseren Übersicht und der günstigeren Selektionsmöglichkeiten, nur die Technik in den Becken. Aber genau so viele Züchter bevorzugen voll eingerichtete Becken mit Bodengrund und voll bepflanzt. Ein Kompromiss erscheint mir günstig. In meinen Aufzuchtbecken stehen große Tontöpfe mit Pflanzen und Kies. Muss ich im Becken arbeiten und sortieren, nehme ich die Töpfe einfach heraus. Auch Aufsitzerpflanzen auf Holz oder Steinen sind praktisch.
Der Wert von Pflanzen ist unstrittig. Sie produzieren nicht nur Sauerstoff und mindern den Infektionsdruck, sondern bieten zusätzlich Versteck und Rückzugsplätze. Auch die Hähnel-Methode bietet einen guten Kompromiss. Hähnel trennte den vorderen Bodenbereich mit einem 10 cm hohen Glasstreifen vom hinteren, voll eingerichteten Becken ab. Über dem blanken Glasboden wurde gefüttert. Verbliebenes Futter konnte so leicht entfernt werden.

 

10. Guppys sollten immer auf Salz gehalten werden!

Sollten Sie das wirklich glauben, züchten Sie besser Meerwasserfische. Die Zugabe von Salz ist immer ein massiver Eingriff in die Wasserchemie, aber als Medikament durchaus sinnvoll. Mit dauernder Salzzugabe jedoch haben Sie auf Ausstellungen oder in anderen Becken große Probleme. Ihre Tiere schaukeln, liegen auf dem Boden. Die Farben und die Vitalität der Tiere nehmen rapide ab. Die Forderung, auf Ausstellungen Wasserzusätze zu erlauben, ist nicht praktikabel. Der Zusatz von Salz bei Tieren einzelner Aussteller (aus Tierschutzgründen) erfüllt den Tatbestand der Wettbewerbsverzerrung, denn der IHS verlangt gleiche Bedingungen für jeden ausgestellten Satz.
Die Behauptung, auf Salz gehaltene Guppys seien gegen Flossenschäden unempfindlicher, mag zutreffen, aber solch ein Stamm muss durch Selektion und züchterische Arbeit verbessert werden.

 

Hans-Peter Neuse