Seltene Fischarten findet man nicht nur in ihren Heimatgewässern.
Mehr als zwanzig Jahren habe ich in verschiedenen Ländern Südamerikas nach bekannten und unbekannten Zierfischen gesucht. Dabei findet man natürlich neben vielen Aquarienfischen auch zahlreiche weniger auffällige Arten. An kaum erforschten Fangorten gelegentlich aber doch noch wissenschaftlich völlig unbekannte Fische. Einen meiner seltensten Salmler, einen wunderschönen Rosy Tetra, habe ich aber nicht in Südamerika gefangen, sondern in meiner Nachbarstadt Leverkusen entdeckt.
Regelmäßig inspiziere ich in den Zoohandlungen meiner Umgebung und bei namhaften Großhändlern unter den importierten Salmlern die sogenannten Beifänge. Vor Jahren entdeckte ich in einem Zoofachgeschäft in Leverkusen einen ca. 1 cm großen Jungfisch, der abgemagert in einem Schwarm kräftiger Salmler schwamm. Da die Verkäuferin mich seit vielen Jahren kennt, schüttelte sie nicht einmal den Kopf über meinen absonderlichen Kaufwunsch. Bereits nach wenigen Wochen Sonderkost mit Artemianauplien, Zyclops, kleinen Wasserflöhen und schwarzen Mückenlarven zeigte der Fisch eine kräftige rote Färbung. Die Flossen wuchsen schneller als ich es je bei einer anderen Art gesehen habe. Durch sein Verhalten hätte ihn jeder Anfänger sicherlich sofort als Männchen identifizieren können, auch wenn da nicht diese extrem lang ausgezogenen Flossen wären.
Ausgewachsenes Männchen des „Skalarsalmlers“
(Hyphessobrycon sp.)
Mangels eigenen Partnerinnen blieb nämlich kaum ein Weibchen anderer Arten meiner Rosy Tetras unbehelligt. Nicht nur die schwarz-weiße Rücken- bzw. Bauchflossen waren extrem lang und spitz ausgezogen, sondern auch die ersten Strahlen der Afterflosse. Im Profil ähnelte dieser Salmler tatsächlich einem Skalar in Miniform. Da nicht einmal der Fundort dieses Juwels bekannt ist, habe ich ihm deshalb in meinen Aufzeichnungen den Namen „Skalarsalmler“ gegeben. Eine ähnliche Art, allerdings mit einem kräftigen Schulterfleck, findet man in dem Salmler-Standardwerk von J. Gery. Eine Abbildung meines Fisches habe ich bisher aber weder in Aquarienzeitschriften noch in der wissenschaftlichen Literatur gefunden. Nachfragen bei Experten und Importeuren waren ebenfalls erfolglos.
Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen, dass die dunkle Zeichnung im Bereich der Schulter der Rosy Tetras in der Form und Intensität erheblich variieren kann und manchmal kaum wahrzunehmen ist. Von Hyphessobrycon rosaceus, dem Schmucksalmler, gibt es beispielsweise eine Lokalform aus Surinam mit einem deutlichen Schulterfleck.
Manchmal entsteht dieser Fleck nicht durch die Anhäufung großer Melanophoren (schwarze Hautzellen), sondern erscheint nur durch die starke Verminderung der umgebenden kleinen, dunklen Hautzellen. Beim Robertsi–Tetra, Hy. jackrobertsi, entstehen auf diese Weise drei sichtbare senkrechte Streifen, von denen meistens nur der mittlere deutlich zu erkennen ist.
Beim Robertsi-Tetra (Hyphessobrycon bentosi) aus Peru ist der
streifenförmige Schulterfleck deutlich zu erkennen.
Es ist gesichert, dass es sich bei dem kleinen Skalarsalmler um eine Hyphessobrycon-Art handelt. Es bleibt nur die Hoffnung, dass es gelingen wird, irgendwann mehrere Exemplare dieser wunderschönen Art für die Zucht und wissenschaftliche Untersuchungen zu erhalten.
Text und Fotos: Günter Hein