Erfahrene Züchter südamerikanischer Zwergbuntbarsche verweisen oft auf größere Wuchsleistungen "brutgepflegter" Jungfische. Plausible Erklärungen dafür haben sie jedoch nicht. Spezielle Vergleiche zwischen Brutbiologie, dem Verhalten von Jungfischen und der jeweils praktizierten Aufzuchtsmethode sind daher eher selten publizierte Themen.
Ansatzpunkte aus der Brutbiologie
Leuten aus der "Szene" ist hinreichend bekannt, dass noch nicht schwimmfähige Jungfische von Buntbarschen zum Teil artspezifisch durch Haftfäden oder Haftflächen mit dem Laichsubstrat verbunden sind. Dieser Schutzmechanismus hat Mehrfachfunktion: Er hält die Nachkommen im Brutversteck und verhindert auch, dass sie weder durch Strömung noch durch Turbulenzen vom Brutplatz verdriften und so verloren gehen. Außerdem wirkt die dorsalseitige Befestigung möglichen Verletzungen der Ventralseite (mit dem Dottersack) wirksam entgegen.
Im Lauf ihrer Entwicklung kommt aber für alle der Tag, an dem die Haftfähigkeit nachlässt. Unterstützt durch ihre Eigenbewegung - fallen die Jungen zu Boden, haften dort aber erneut auf dem jeweiligen Substrat. Von der Mutter zusammengetragen, bilden sie bis zur Entwicklung der Augen ein zappelndes Häufchen. Dann aber liegen sie weitgehend bewegungslos (!), was sicher einen biologischen Grund hat. Ab wann genau aber junge Buntbarsche sehend sind, ist meines Wissens bisher nicht untersucht. Erst mit dem Aufrichten in Schwimmposition etwa - werden sie vermutlich in die Lage versetzt, sich in ihrem Umfeld visuell und damit räumlich zielgerichtet zu orientieren.
Details bei "natürlicher" Aufzucht
Schon seit vielen Jahren beobachte ich Apistogramma-Arten und stelle immer wieder fest: Auch diese kleinen Buntbarsche werden innerhalb einer kurzen sensiblen Lernphase auf die kontrastreichen Signalstrukturen der Eltern bzw. der Mutter geprägt (Zenner, 1982). Das geschieht offenbar zwischen dem Beginn visueller Wahrnehmung und dem Freischwimmen, denn schon beim erstmaligen Verlassen des Brutverstecks ist diese Gestaltprägung voll entwickelt. Sie findet u. a. ihren Ausdruck in einem markanten Kontaktverhalten und der ebenso zweckmäßigen - wie reizvollen Nachfolgereaktion. Dies alles befähigt die Jungfische zu einer intensiven Wechselbeziehung mit den Eltern oder der Mutter. Sie sind daher schon sehr früh in der Lage, auf signalisierte Gefahrenmomente und Störfaktoren sinnvoll zu reagieren. So verharrt die Brut bei Flucht der Mutter bereits in den ersten Minuten vollkommen ruhig am Boden - ohne dass Panik aufkommt. Demnach wirkt die "Sicherheitsfigur" eines fürsorglichen Weibchens bereits im Brutversteck auf die Nachkommen. Außerhalb des Brutverstecks folgen dann erste Schwimmversuche, welche eher wie "Hüpfer" aussehen. Meist noch am gleichen Tag schwimmen alle frei und die Nahrungssuche bzw. Nahrungsaufnahme beginnt.
Details bei "künstlicher" Aufzucht
Ohne die Anwesenheit der fürsorglichen Mutter oder einer Attrappe (Kuenzer 1971) gibt es keine Nachfolgereaktion - also auch keine Prägung! Die Jungtiere bleiben demzufolge erfahrungslos gegenüber einfachsten Bewegungsreizen aus ihrer unmittelbaren Umwelt. Fehlprägung durch versäumte Prägungsvorgänge (Tembrock 1968) bei unbiologischer oder reizarmer Aufzucht ist die Regel. Auch kommt es zur Flucht vor Weibchen, wenn sie ihnen zu spät begegnen (Zenner 1978). Dabei hat man oft den Eindruck, als warten die Nachkommen aus isolierter Aufzucht auf den (geschützten) Start ins Leben durch die Mutter. Nach meiner Beobachtung beginnen sie auch später mit Schwimmversuchen - was späteres Freischwimmen zur Folge hat. In dieser Zeit aber, wo die Jungen bei natürlicher Aufzucht längst fressen, verbrauchen die Isolierten fraglos wertvolle Energie. Doch die Energiereserve aus dem Ei - der Dottersack -, ist schon aufgebraucht. Jede Verzögerung in der Regeneration von Energie (durch Nahrungsaufnahme) wird also Folgen haben. Jungtiere aus "künstlicher" Aufzucht haben daher zumindest einen verzögerten Start. Diese naturferne Aufzuchtsmethode zeigt aber weitere Nachteile: So entfällt das bekannte Wegführen der Jungfische aus Zonen der Gefahr ebenso wie das Halten in Zonen hoher Planktondichte. Außerdem lösen Erschütterungen, Licht- und Schattenreflexe (Kuenzer 1971) bei nichtgeprägten Jungfischen schon in der ersten Lebenswoche Fluchtverhalten aus. Wochen später schießen sie z. T. unter Kollapssymptomen durch den Raum. Je nach Art und Frequenz der Reize kann es zur Gewöhnung - oder aber zu ständiger Beruhigung kommen. dabei wird oft erst nach Pausen wieder Nahrung aufgenommen. Auf diese Weise erzeugt jede Störung sichtbaren Stress in Form erhöhter Atemfrequenz mit erhöhtem Energieverbrauch. Alle diese Reaktionen werden aber generell und zeitlich vermindert bei Anwesenheit pflegender Eltern. Selbst aus Nachbarbecken wirken führende Weibchen noch auf Jungfische, deren leibliche Mutter verloren ging.
Wachstumsrate bei "natürlicher" Aufzucht
Auswahl untersuchter Arten: Die mit Abstand größte Zuwachsrate war bisher zu registrieren bei
Apistogramma nijsseni, KULLANDER, 1979 - 20 Millimeter Totallänge (TL) in 5 Wochen gefolgt von
A. panduro mit der gleichen Zuwachsrate
A. agassizii, STEINDACHNER, 1875 - 20 Millimeter TL/6-7 Wochen
A. bitaeniata PELLEGRIN, 1936 - dto.
A. cacatuoides HOEDEMAN, 1951 - dto.
A. macmasteri KULLANDER, 1979 - 20 Millimeter TL/7 Wochen
A. steindachneri REGAN, 1908 - 20 Millimeter TL/8 Wochen
A. rupununi FOWLER, 1914 - 20 Millimeter TL/8 Wochen
A. trifasciata EIGENMANN & KENNEDY, 1903 - 20 Millimeter TL/10 Wochen
Ebenso A. trifasciata maciliensis (HASEMAN, 1911)
Wesentlich langsamer wachsen Arten um A. regani KULLANDER, 1980. So z. B.
A. commbrae REGAN, 1906
A. eunotus KULLANDER, 1981
A. inconspicua KULLANDER, 1983
A. resticulosa KULLANDER, 1980 und die "Rotpunkt"-Apistogramma.
Sie alle erreichten das Vergleichsmaß von 20 Millimeter TL in ca. 10 Wochen. Am Schluss der Auflistung stehen Arten wie
A. hoignei MEINKEN, 1965 sowie
A. borellii REGAN, 1906 - 20 Millimeter TL/12 Wochen
A. hongsloi KULLANDER, 1979 - 20 Millimeter TL/14 Wochen
A. mendezi RÖMER, 1994 - 20 Millimeter TL/14 Wochen sowie Arten der
A. pertensis-Gruppe z. B.
A. paucisquamis KULLANDER & STAECK, 1988
A. iniridae KULLANDER, 1979
A. meinkeni KULLANDER, 1980
A. spec. "Blutkehle" sowie A. spec. "Vierstreifen" mit ähnlichen Wachstumsraten.
Unter identischen Bedingungen in einem 200 Liter Becken (140 x 40 x 40) gelang z. B. der direkte Vergleich zwischen der "Vierstreifen"-Apistogramma und A. bitaeniata. In beiden Fällen waren die Eltern Wildfänge. Dabei erreichte A. bitaeniata rund 70 Millimeter KL ( ) in 6 Monaten, die Species aber nur 35 Millimeter ( ). Die 127 bzw. 51 Jungfische blieben bis zur 7. Woche bei den Eltern und wurden während des Versuchs ausschließlich mit frischgeschlüpften Artemien ernährt.
Wachstumsraten bei "künstlicher" Aufzucht
Die untersuchten Arten erreichten das Ziel (artspezifisch) jeweils 3 - 5 Wochen später als bei der Aufzucht mit den Eltern bzw. der Mutter. Im Nachvollzug von Einzelbeobachtungen ergaben sich zuweilen Wachstumsdifferenzen zur vorherigen Ermittlung. Diese sehe ich korreliert mit periodisch veränderter Futterqualität.
Chemisch-physikalische Bedingungen
Alle Vergleiche unterlagen folgenden Basiswerten:
Leitungswasser:
Leitwert 150 - 180 Microsiemens,
ph Wert 6,5 - 7,5
Nitrit: unter 0,05 mg/l
Nitrat: 8 mg/l
Aquarienwasser:
ph Wert 6,8 - 5,5
Nitrit: max. 0,15 mg/l
Nitrat: max. 20 mg/l
Temperatur: 24 - 28oC
Wasseraustausch während der Aufzucht = 2-mal wöchentlich 30 %. In jedem Fall enthielten die Becken Sand der Körnung 1-3 als Bodensubstrat. Schichtung maximal 20 Millimeter. Dazu verwende ich reichlich Pflanzen (Microsorium, Anubias, Myrriophyllum, Vesicularia), die nicht gedüngt wurden. Filterung: Klarfilter über Schaumstoff.
Zur Wertigkeit der gereichten Futtertiere
Aus praktischer Erfahrung stufe ich Rotatorien als Erstnahrung am höchsten ein. Diese Wertung erfolgt jedoch ohne Definition, um welche Arten es sich exakt handelt. Sofern beschaffbar, sind Rotatorien bis zur 3. Woche die Allein-Nahrung. Nach der Wirkung auf das Wachstum liegen Cyclopoida-Nauplien (Ludwig, 1989) an nächster Stelle. Gleichwertig einzustufen sind frischgeschlüpfte Artemien. Entsprechend des Wachstums nach 4 - 6 Wochen rangieren danach gesiebte Cyclopoida auf gleicher Stufe mit frischgeschlüpften Culex-Larven. Gefolgt von Moina und Calanoida - werden Bosmina und Daphnia hingegen nur als Notnahrung eingestuft. Gründe für diese Wertung liegen vor allem im hohen Transportrisiko, der geringen Haltbarkeit bei höherer Temperatur und mangelnder Aufnahmebereitschaft durch die Fische. Beweise einer realen Minderwertigkeit dieses Zooplanktons liegen nicht vor.
Zusammenfassung
Vereinfacht dargestellt - ist die isolierte Aufzucht zweifellos mit biologischen Nachteilen behaftet. Im Interesse einer effektiven Nachzucht zeigen sich aber auch ökonomische Nachteile. Langjährige Beobachtungen zu differenziertem Wachstum machen daher folgendes wahrscheinlich:
Nicht nur die Qualität des Wassers und der Nahrung schafft gute oder weniger gute Bedingungen. Einer zügigen Entwicklung hinderlich - oder förderlich kann auch die Summe aller Verzögerungen in der Nahrungsaufnahme sein. Wichtige Entscheidungen fallen vor allem in den ersten zwei Tagen und den folgenden drei bis fünf Wochen. Gelingt es z. B. nicht, freischwimmende Brut noch am selben Tag, spätestens aber am Morgen darauf (!) mit geeigneter Erstnahrung zu versorgen, ist der Rückstand selbst bei "natürlicher" Aufzucht kaum mehr aufzuholen. Schleppendes Wachstum aber schafft erheblichen Mehraufwand für Energie, Wasser, Futter und verlängert die Verweildauer beim Züchter. Ein guter Start ist eben auch in der Fischzucht schon der "halbe Erfolg".
Lothar Zenner